Veranstaltung: | Mitgliederversammlung Wirtschaftspolitik |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge |
Antragsteller*in: | Peter Pütz (KV Bielefeld) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 25.09.2024, 18:09 |
A1: Wirtschaftswachstum innerhalb planetarer Grenzen
Antragstext
Die Grünen Bielefeld stellen fest, dass weiteres Wirtschaftswachstum nur im
Rahmen der planetaren Grenzen möglich ist. Unser Hauptziel sollte es sein, auf
ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen hinzuwirken, auch wenn dies das
Wirtschaftswachstum möglicherweise einschränkt. Dafür stellen wir Grünen, auch
auf Bundesebene, dieses Ziel auch in unserer Außenkommunikation wieder mehr in
den Vordergrund und wirken darauf hin, dass soziale Sicherheit und
gesellschaftliche Stabilität unabhängig vom Wirtschaftswachstum gestaltet
werden.
Begründung
Menschliche Eingriff in die Ökosysteme haben dazu geführt, dass kritische planetare Grenzen überschritten wurden. Das Überschreiten dieser Grenzen kann sich negativ auf verschiedene Aspekte des menschlichen Lebens auswirken, wie z.B. Gesundheit oder Ernährungssicherheit, aber auch wirtschaftliche und politische Stabilität. So werden insbesondere die Schäden durch den Klimawandel in Zukunft erhebliche finanzielle Folgekosten haben, die den Wohlstand in den kommenden Dekaden stark bedrohen. Um aktuellen und zukünftigen Generationen, lokal und global, die Möglichkeit für ein gutes Leben zu geben und die globale Gerechtigkeit zu wahren, müssen insbesondere wohlhabende Länder ihre Eingriffe in die Ökosysteme in einem erheblichen Ausmaß reduzieren, was auch politisch weitestgehend akzeptiert ist. Allerdings erfordern entsprechende Maßnahmen oft Einschränkungen oder Verzögerungen im wirtschaftlichen Wachstum (allgemein gemessen am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, kurz BIP). Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen oder zum Schutz von Ökosystemen, wie eine höhere Bepreisung von Ressourcen- und Energieverbrauch, können erst einmal zusätzliche Kosten verursachen und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen. Der auch von GRÜNER Seite im Jahr 2023 geforderte Industriestrompreis, der u.a. eine Absenkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe beinhaltet, oder die Aussetzung der Erhöhung des deutschen CO2-Preises im Jahr 2023 zeigen, dass bei bedrohter Wettbewerbsfähigkeit sogar beschlossene Umweltmaßnahmen zurückgenommen oder gelockert werden.
Wir halten daher ein deutliches Umsteuern für notwendig. Eine klare Begrenzung des Ressourcenverbrauchs, z.B. den Treibhausgas-Ausstoß in den durch das Pariser Abkommen vorgegebenen Grenzen, würde sicherstellen, dass wir unsere Budgets nicht überschreiten. Dies wird aber, wie dargelegt, das Wirtschaftswachstum vermutlich stark bremsen und einige Branchen, die nicht im Rahmen dieser Grenzen wirtschaften können, sogar schrumpfen lassen.
Wirtschaftliches Wachstum wird als weltweit anerkanntes politisches Ziel so gut wie nie hinterfragt. International ist es im Sustainable Development Goal (SDG) „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ festgeschrieben; in Deutschland im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Wirtschaftswachstum verspricht neue Arbeitsplätze, höhere Steuereinnahmen und damit die Verbesserung bzw. den Erhalt des sozialen Zusammenhalts einer Gesellschaft. Auch führende GRÜNE streben weiteres Wirtschaftswachstum an: „Die Rahmenbedingungen könnten herausfordernder kaum sein. Die Wachstumszahlen der deutschen Wirtschaft sehen nicht so aus, wie wir uns das wünschen. Das Wachstum sollte aus unserer Sicht höher sein“ schreibt z.B. die GRÜNE Bundestagsfraktion in ihrer Mitteilung zum Jahreswirtschaftsbericht 2023, deshalb werde sie „Wachstumsimpulse mit gezielter Angebotspolitik schaffen“ (https://www.gruene-bundestag.de/themen/wirtschaft/wirtschaft-auf-erholungskurs). Wirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnet das Wirtschaftswachstum von „0,2% und die Lage als „dramatisch schlecht“ (https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/wirtschaftswachstum-warnung-habeck-konjunktur-prognose-100.html). Diese und viele ähnlich gelagerte Aussagen in der letzten Zeit stehen im Konflikt zu anderen GRÜNEN Überzeugungen und Plänen, wie sie beispielsweise im Bundestagswahlprogramm von 2021 („Entsprechend verändern wir die Wirtschaftsweise, denn auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben.“) oder im aktuellen Grundsatzprogramm („Aus Vorsorge sind unsere Systeme deshalb auf wissenschaftlicher Basis darauf auszurichten, auch beim Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen stabil zu bleiben – gerade im Hinblick auf wiederkehrende Wirtschafts- und Finanzkrisen.“) formuliert wurden.
Für ein Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen, d.h. für die Lösung des Zielkonflikts zwischen kurzfristigem wirtschaftlichem Nutzen und langfristiger ökologischer Nachhaltigkeit, wird parteiübergreifend mehr oder weniger explizit die Strategie „grünes Wachstum“ verfolgt. Es basiert auf der Annahme einer absoluten, dauerhaften, globalen, weitreichenden und schnellen Entkopplung wirtschaftlicher Aktivität von allen kritischen Umweltbelastungen. Die Größenordnung der dafür notwendigen Entkopplung lässt sich am Beispiel der Treibhausgase deutlich machen: Die Bertelsmann-Stiftung hat z.B. errechnet, dass bei BIP-Wachstumsraten von 1,25% eine Senkung der ausgestoßenen Treibhausgase je Euro des Bruttoinlandsproduktes (auch Treibhausgasintensität oder Emissionsintensität der Wirtschaft genannt) um über 11% pro Jahr notwendig ist, um die deutschen Klimaziele zu erreichen; in den letzten 30 Jahren wurde aber nur eine Reduktion von 2,84% pro Jahr erreicht. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass aktuelle Maßnahmen zu kurz greifen. Insbesondere in Sektoren, in denen passende technische Lösungen noch nicht oder nicht in ausreichendem Maße verfügbar sind, wie z.B. dem Flugverkehr oder dem Bauen mit Beton, ist unklar, wie derart hohe Raten erreicht werden können. Andersherum bedeutet dies, dass konsequenter Schutz planetarer Grenzen vermutlich das Wachstum in bestimmten Branchen hemmen wird. Szenarien zur Verkehrswende gehen auch von einer sinkenden Anzahl privater PKW in den kommenden Jahren aus, was z.B. das Wachstum in der Automobil-Branche bedrohen wird.
Allerdings gibt es bisher kein Gesamtkonzept dafür, wie ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ohne Wachstum bzw. sogar mit Schrumpfung der Wirtschaft funktionieren soll. Daher halten wir es für dringend nötig, so viele Vorkehrungen wie möglich zu treffen, um die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft und insbesondere die sozialen Sicherungssysteme unabhängig von Wirtschaftswachstum zu gestalten. Dazu gehört eine starke Komponente sozialen Ausgleichs, damit nicht die finanziell Schwächsten der Gesellschaft die Konsequenzen am stärksten zu spüren bekommen. Zudem müssen Investitionen ohne ausufernde Staatsschulden sicherstellt werden, damit der Staat nicht selbst wachstumsabhängig wird. Ebenso braucht es Maßnahmen, die ein Gesellschaftsmodell unterstützen, in dem Menschen auch ohne Zuwachs an persönlichem materiellem Wohlstand Lebenszufriedenheit erreichen können. Das Fördern von gemeinwohlorientiertem Wirtschaften, gesellschaftlichem Zusammenhalt und einer funktionierenden Demokratie sowie eine ausreichende Versorgung mit öffentlichen Gütern (z. B. Schwimmbäder, Bibliotheken) sind dafür denkbare Ansätze.
Wichtig ist aber auch, offen und klar zu kommunizieren, dass diese Politik zunächst wahrscheinlich materiellen Wohlstand kostet, jedoch unabdingbar ist, um zukünftigen Wohlstand - der breiter gefasst werden darf als materieller Wohlstand - zu sichern. Uns Grünen ist eigentlich bekannt, dass sich Wohlstand und wirtschaftlicher Erfolg nicht allein anhand des (Wachstums) des Bruttoinlandsproduktes bemessen lässt, auch das ist beispielsweise im letzten Bundestagsprogramm formuliert: „Wohlstand definiert sich nicht allein durch Wachstum des BIP, sondern lässt sich viel breiter als Lebensqualität verstehen. Wir wollen den Erfolg Deutschlands und der Unternehmen neben ökonomischen auch anhand inklusiver, sozialer, ökologischer und gesellschaftlicher Kriterien messen und die politischen Leitplanken wie Anreize und Wirtschaftsförderung entsprechend neu ausrichten.“ Deshalb sind seit grüner Regierungsbeteiligung im Bund auch weitere Indikatoren für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg in den Jahreswirtschaftsbericht aufgenommen worden (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/jahreswirtschaftsbericht-2024-2261396). Dabei sind durchaus Erfolge zu benennen, sei es die hohe Beschäftigungsquote oder der sinkende Anteil an Menschen, die vor dem 70. Geburtstag sterben. Deshalb ist es nicht ratsam, dass in der öffentlichen Kommunikation führende Grüne Politiker:innen hauptsächlich das (Null-)Wachstum beschreiben und bedauern. So lassen sich weder erreichte Erfolge zeigen noch der dringend notwendige Wandel zu einer nachhaltigen, wachstumsunabhängigen Wirtschaftsweise schaffen. Ein wichtiger Schritt ist deshalb eine ehrliche Kommunikation, die nicht den Traum von ewigem Wirtschaftswachstum im Einklang mit den planetaren Grenzen für realistisch erklärt, sondern das Erfüllen menschlicher Bedürfnisse in den Vordergrund rückt. Wir brauchen neben den angesprochenen politischen Lösungen deshalb dringend eine Diskursverschiebung und sind wohl die einzige größere Partei, die das leisten kann und muss.
Anmerkung: Dieser Antrag wurde im Rahmen des Postwachstums-Lesekreises, der im Frühjahr 2023 hier im KV Bielefeld gestartet wurde, erarbeitet. Ein ausführliches Papier mit vielen Quellen zum Thema dieses Antrags wurde ebenso von Mitgliedern des Lesekreises geschrieben und ist hier zu finden: https://github.com/peterpuetz2020/Wirtschaftswachstum/blob/main/Wirtschaftswachs-tum_innerhalb_planetarer_Grenzen.pdf. Darin wird genauer auf die Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern von dauerhaftem Wirtschaftswachstum sowie die Funktionen von Wirtschaftswachstum eingegangen und skizziert, welche Schritte zur Erreichung von ökologischen Zielen bei gleichzeitiger Erhaltung von gesellschaftlicher Stabilität notwendig sind.
Änderungsanträge
- Ä1 (Peter Pütz (KV Bielefeld), Eingereicht)